Ausgelöst durch einen tragischen Unglücksfall und nachfolgend dessen nachfolgende Untersuchung durch einen Sachverständigen hielten am 20.11.2014 unsere Mitglieder Dipl.-Ing. Markus Tripp und Dipl.-Ing. Markus Berneburg, beide Mitarbeiter der TÜV Technische Überwachung Hessen GmbH in Kassel, einen Vortrag mit praktischen Vorführungen zu den Grenzen des zusätzlichen Schutzes durch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen, heute international als "Residual Current Device", abgekürzt RCD, bezeichnet.
Stromunfälle - Grenzen des zusätzlichen Schutzes durch RCD
Der Vortrag fand, auch durch die örtliche Presse angekündigt, großen Zuspruch durch interessierte Bürger, etliche Mitglieder der Elektro-Innung Kassel sowie zahlreiche Mitglieder unseres Vereins. Die beiden Vortragenden gingen in ihren Ausführungen zunächst auf die Historie und technische Weiterentwicklung der in der deutschen Sprache abgekürzt auch als FI-Schalter bezeichneten Geräte ein. Sie zeigten darüber hinaus die Problematik auf, welche durch Schaltnetzteile und andere elektronische Geräte eine Abweichung unserer Netzspannung von der reinen Sinusform des Wechselstrom verursacht werden.
Aus der Zuhörerschaft kam der Wunsch, die gezeigten Folien als kommentierten Bericht auf unseren Internetseiten zu veröffentlichen. Diesem Wunsch kommen wir mit dieser aktualisierten Fassung unseres zunächst am 14.12.2014 veröffentlichten extrem kurzen Bericht gern nach, können dies aber aus urheberrechtlichen Gründen nur ohne die gezeigten Folien in Textform und Bildern der Versuchsdurchführung tun. Nachfolgend der uns vom TÜV Hessen zur Verfügung gestellte Text in Form eines Berichts und eines Interviews:
Immer wieder sterben Menschen auf tragische Weise bei Stromunfällen in der Badewanne – Sachverständige von TÜV Hessen referieren zu Funktion und Grenzen von RCD-Schaltern
Knisternde Spannung liegt im Raum, als sich der Föhn der gefüllten Badewanne nähert. Gleich wird er die Wasseroberfläche berühren. Die Umstehenden halten respektvoll Sicherheitsabstand. Jetzt taucht er ein und – nichts passiert. Kein Knall, kein Lichtbogen, kein Kurzschluss. Der Föhn läuft einfach weiter, bewegt sich wie ein U-Boot durch die Wanne. Die Demonstration von TÜV Hessen in Kassel zeigt: Was man landläufig über das Zusammentreffen von Elektrizität und Wasser zu wissen glaubt, stimmt nicht immer. Aber Vorsicht, die Gefahr ist nicht gebannt: Das ulkige U-Boot am Netzkabel hat das Badewasser unter Spannung gesetzt.
Jahr für Jahr kommt es durch Elektrogeräte, die in gefüllte Badewannen fallen, zu Todesfällen. In den traurigen Statistiken ist meistens ein Föhn im Spiel, oft trifft es Kinder unter 14 Jahren. Beim tragischen Tod zweier Geschwister im November 2013 in Kassel war der am eingesteckten Netzkabel hängende Rasierapparat des Vaters ins Wasser geraten. Der Vater fand seine Kinder leblos in der Wanne vor. Experten von TÜV Hessen wurden zur Aufklärung hinzugezogen.
Das Drama von Kassel hat dem Thema Stromunfälle abermals kurzzeitig mediale Aufmerksamkeit verschafft. Auch in Fachkreisen wird seither wieder vermehrt diskutiert. Der Bezirksverein Kassel des VDE bat die Experten von TÜV Hessen um einen Fachvortrag. Markus Berneburg und Markus Tripp, Geschäftsfeldleiter Elektro- und Gebäudetechnik, entsprachen diesem Wunsch gerne. Im Rahmen ihres Referats am 20. November 2014 in den Räumen von TÜV Hessen führten sie den eingangs beschriebenen Versuch durch.
Ein Fall für den RCD-Schalter?
Fehlerstromschutzeinrichtungen sind seit 1984 unter anderem in Baderäumen und seit 2007 bei neu installierten Steckdosen vorgeschrieben (siehe auch Infokasten). Die RCD-Schalter – Residual Current protective Device, übersetzt in etwa Reststromschutzgerät – sollen die Gefahr von Stromunfällen reduzieren und Menschen vor tödlichen elektrischen Schlägen schützen. Früher war die Bezeichnung FI-Schalter (Fehlerstromschutzschalter) gebräuchlich. Die RCD-Schalter überwachen die Stärke der Ströme, die zu einem elektrischen Gerät, beispielsweise dem Föhn, hin und wieder von ihm zurück fließen.
Im Normalfall sind diese Ströme annähernd gleich stark. Das ändert sich beispielsweise dann, wenn ein Mensch ein ungenügend isoliertes Gerät berührt oder ein Teil des Stromes über den Potentialausgleich einer Badewanne abfließt. Diesen sogenannten Fehlerstrom „bemerkt“ der Schalter, weil vom Föhn weniger Strom zurückkommt als hingeleitet wird. Innerhalb von Sekundenbruchteilen unterbricht der Schalter den Stromfluss. Voraussetzung dafür ist, dass der Fehlerstrom ausreichend groß ist. Der übliche Bemessungsfehlerstrom liegt bei 30 Milliampere (mA). Wo aber der Schalter kein Abfließen des Stroms feststellt, löst er nicht aus.
„RCD-Schalter bringen ein Sicherheitsplus“, sagt Markus Tripp. „Aber in Bädern ist diese Sicherheit manchmal trügerisch. Hier ist das Schutzniveau nicht so hoch, wie man als Laie annimmt.“ Denn: Unter bestimmten Bedingungen reagiert der Schalter nicht. Dann kann das Badewasser unter Strom – die Fachleute sprechen von Spannung – gesetzt werden. Wird ein Mensch dieser Spannung ausgesetzt und vom Strom durchflossen, ist das lebensgefährlich und endet oft tödlich. Schon bei 50 Milliampere kann das menschliche Herz zu schlagen aufhören. Es kommt zu Herzkammerflimmern und Herzstillstand, die Muskeln verkrampfen, man ist bewegungsunfähig, die Atmung setzt aus.
Erdung ist kein Muss mehr
Die früher vorgeschriebene Erdung (Potentialausgleich) von Badewannen ist seit 2002 nicht mehr Bestandteil der Norm. Grund für diese Entscheidung war, dass inzwischen fast alle Badewannen aus Kunststoff, Acryl oder emailliertem Stahl bestehen. Auch die Abflussrohre bestehen aus Kunststoff, sind somit nicht leitfähig. Eine Erdung bliebe hier also wirkungslos. „Man hat in der Vergangenheit womöglich falsche Schlüsse aus bestimmten Versuchen gezogen“, sagt Markus Tripp, der mit der Lockerung der Norm alles andere als glücklich ist.
Brenzlig wird es, weil zugleich auch handelsübliche Geräte, die im Bad benutzt werden, etwa Föhne, Rasierapparate oder Heizlüfter, keinen Schutzleiter haben. Stattdessen haben diese Geräte, fachsprachlich Betriebsmittel der Schutzklasse II (Schutzisolierung), eine verstärkte Isolierung zwischen dem Netzstromkreis (gefährlich aktive Teile) und den berührbaren Teilen. Diese Schutzmaßnahmen aber nützen im Badewannenfall nicht – wie die Fachleute von TÜV Hessen in ihrem Versuch demonstriert haben.
„Ob ein RCD-Schalter schützen kann oder nicht, hängt von der jeweiligen Konstellation ab“, sagt Markus Tripp. „Bei einer geerdeten Badewanne mit leitender Verbindung ins Wasser wird der RCD-Schalter auslösen, ebenso dort, wo eine isolierte Badewanne aus Acryl und ein Elektrogerät mit Schutzleiter aufeinandertreffen.“ In der in deutschen Badezimmern weit verbreiteten Konstellation aus einer isolierten Acryl-Badewanne und einem Standard-Föhn löst der RCD-Schalter dagegen nicht aus, der Laststrom fließt weiter. Dabei ist es theoretisch möglich, beim unfreiwilligen Bad mit Föhn zunächst unversehrt zu bleiben. Verweilt man jedoch längere Zeit mit dem Föhn im Wasser oder berührt man die metallene Armatur, kann sich das blitzartig ändern. „Welchen Weg der Strom sich durch das Wasser sucht, darauf sollte man nicht wetten“, rät Markus Tripp.
Soweit der Artikel des TÜV Hessen zu diesem Thema, den Sie sich wie das nachfolgende TÜV-intern geführte Interview unter Downloads + Links als vierseitige PDF-Datei herunterladen können. Nun das Interview mit Dipl.-Ing. Markus Tripp, Mitglied des VDE Kassel:
"Die Unfallgefahr ist real"
Markus Tripp, Geschäftsfeldleiter und Sachverständiger Elektro- und Gebäudetechnik beim TÜV Hessen erläutert im Interview mögliche Maßnahmen, um in Badezimmern den Schutz vor elektrischem Schlag zu erhöhen
Herr Tripp, wie kann es in Zeiten der Fehlerstromschutzschalter zu tödlichen Unfällen in der Badewanne kommen?
Markus Tripp: Die FI- oder RCD-Schalter erhöhen den Schutz, aber sie lösen nur unter bestimmten Bedingungen aus. Damit der Fehlerstrom zum Fließen kommt, muss ein Schutzleiter oder Potentialausgleich vorhanden und der Stromkreis hierrüber geschlossen sein. Wegen der isolierenden Oberflächen der heutigen Badewannen sind sie in manchen Konstellationen leider wirkungslos, dann ist die Unfallgefahr sehr real! Man muss hier im Einzelfall das Zusammenspiel der Faktoren betrachten. Dabei geht es um die verbaute elektrische Anlage, vorhandene Schutzleiter, vorhandener Potentialausgleich, die benutzten elektrischen Geräte und das Verhalten der Benutzer.
Aber sollte in diesen Fällen nicht ohnehin die Sicherung rausfliegen?
Nein, dafür reicht die Stromstärke im Laststromkreis in der Regel nicht aus. Bei Steckdosen ist ein zusätzlicher Schutz durch RCD-Schalter erforderlich. Die elektrische Sicherung als Überstromschutzeinrichtung sorgt für die Unterbrechung des Stromkreises, wenn ein zu hoher Strom fließt. Sicherungen schützen zum Beispiel Leitungen vor Überlast oder bei Kurzschluss.
Wie ließe sich das Sicherheitsniveau in Badezimmern erhöhen?
Da sind mehrere Konzepte denkbar. Ein Ansatzpunkt ist die Erdung der Badewanne, ein zweiter sind Schutzleiter in den benutzten Geräten. Variante eins: Bei den Badewannen ließe sich generell ein Potentialausgleich durch eine leitende Verbindung ins Wasser herstellen – zum Beispiel über den Wannenabfluss oder ein metallisches Element in der Wanne. Variante zwei wäre es, in die Gehäuse von Geräten wie Föhn, Rasierapparat und Heizlüfter elektrisch leitfähige Schutzleiter einzubauen. Es könnte zudem eine Überlegung wert sein, Steckdosen im Badezimmer mit sensibleren RCD-Schaltern auszurüsten, deren Bemessungsfehlerstrom bei nur 10 Milliampere liegt.
Welche Lösung würden Sie favorisieren?
Da möchte ich mir kein Urteil erlauben und das lässt sich so pauschal auch nicht sagen. Bei allen Varianten ist immer das Gesamtkonzept für ein Gebäude zu betrachten. Eine punktuelle Umsetzung kann sich auch negativ auswirken. Klar ist, dass vor einer gesetzlichen Neuregelung nicht zuletzt die unterschiedlichen Konsequenzen, die Kosten und der Aufwand zu beachten wären. Etwa wäre zu klären, ob man bei Badewannen nur von Neuinstallationen oder auch vom Bestand spricht. Bei elektrischen Geräten wäre die Umsetzung ohnehin nur bei Neugeräten möglich.
Was kann der Laie tun?
Zunächst einmal: Nicht selbst experimentieren. Die Einschätzung, welche Schutzmaßnahme sinnvoll ist, sollte man unbedingt einem Fachmann überlassen, der sich vor Ort ein Bild von der Lage macht. Das gilt insbesondere auch für Arbeiten an der elektrischen Anlage: Hier muss eine sachkundige Installationsfirma ran. Grundsätzlich sollten Elektrogeräte im Bad nicht in der Nähe der Wanne liegen. Wenn man sie nicht benutzt, sollte man den Netzstecker ziehen. Das ist umso wichtiger, wo Kinder planschen.
Soweit der Text des Interviews und abschließend hier noch weitere Informationen zu den am Vortragsabend erläuterten Fehlerstromschutzschaltern:
- Normen, Nutzung, Nachrüstung
Bereits seit 1984 sind Fehlerstromschutzschalter für Feuchträume in Neubauten Pflicht. Die Errichtungsnorm DIN VDE 0100-701 fordert, die Stromkreise für Räume mit Badewanne oder Dusche durch RCD-Schalter abzusichern. Seit 2007 muss generell jeder neu eingebaute Steckdosen-Stromkreis bis 20 Ampere (A) beziehungsweise im Außenbereich bis 32 A (Bemessungsstrom) mit einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung ausgestattet sein. Die entsprechenden Normen sind die DIN VDE 0100-701:2008-10 (Niederspannungsanlagen – für Räume mit Badewanne oder Dusche) und die DIN VDE 0100-410:2007 (Niederspannungsanlagen – für den Schutz gegen elektrischen Schlag). Eine Nachrüstpflicht für ältere Anlagen gibt es im privaten Bereich nicht. Nachgerüstet werden muss lediglich bei bestimmten Umbauten, Nutzungsänderungen/-erweiterungen oder wenn erkennbar unmittelbare Gefahren von einer Anlage ausgehen. Schätzungen zufolge haben RCD-Schalter erst in rund 50 Prozent der privaten Wohnungen Einzug gehalten.
- Die wichtigsten Typen der RCD-Schalter mit ihren Symbolen
AC
Ab den 1950er-Jahren erhältlich und für die Installation in Haushalten vorgesehen; seit 1985 aber nicht mehr zugelassen. Erkennt ausschließlich sinusförmige Wechselfehlerströme. Auslösestrom 0,5–1,0 IΔN (Nennfehlerstrom).
A
Anwendung in Haushalten, Gewerbe und für elektronische Betriebsmittel. Erkennt sinusförmige Wechselfehlerströme, pulsierende Gleichfehlerströme, angeschnittene Halbwellenströme, Halbwellenstrom mit DC-Überlagerung bis 6 mA. Reagiert nicht auf glatte Gleichfehlerströme und ist nur für 50 Hz geeignet. Auslösestrom 0,35–1,4 IΔN. Der Untertyp F erkennt zusätzlich Frequenzgemische bis 1 kHz, reagiert aber auch nicht auf glatte Gleichfehlerströme.
B
Anwendung im Gewerbe, insbesondere in Drehstromsystemen mit 50/60 Hz, nicht in Gleichspannungssystemen; seit 1994 erhältlich. Erkennt Fehlerströme die von Typ F erkannt werden, zusätzlich glatte Gleichfehlerströme. Allstromsensitiv, bis 2 kHz geeignet. Auslösestrom 0,5–2,0 IΔN. Untertyp B+ erkennt zusätzlich Fehlerströme bis 20 kHz.
|K|, superresistent
Anwendung bei Typ B und Typ B+, wo betriebsmäßige Ableitströme (z. B. bei EMV-Filtern) vorhanden sind. Im Abschaltverhalten kurzzeitverzögert (10 Millisekunden (ms))
|S|, selektiv
Anwendung zum selektiven Aufbau von RCDs, Abschaltverhalten verzögert (50 ms). Der Bemessungsdifferenzstrom des netzseitigen RCDs muss mindestens den dreifachen Wert haben.
Den Vortragsabend abschließend führte Dipl.-Ing. Markus Tripp dann die Wirkung eines RCD an einer mit Wasser gefüllten, nicht am Abfluss geerdeten und aus Kunststoff bestehenden Badewanne vor: Ein elektrischer Haartrockner, mit dem üblichen für Schutzkontaktsteckdosen versehenen Stecker ohne PE-Kontakte und ohne Schutzleiter versehen, also ein Gerät in Schutzklasse II (siehe Abb. 1) (wurde im eingeschalteten Zustand ins Wasser gelassen und drehte dort munter, angetrieben durch den Ventilator seine Kreise. Entscheidend war, dass der RCD nicht auslöste! Konnter ja auch nicht, denn wohin hätte der Fehlerstrom denn abfließen sollen. Die Badewanne war aus Kunststoff und an keiner Stelle geerdet. Erst als ein Erdleiter ins Wasser geworfen wurde, löste der RCD aus. Aber auch hier gilt immer noch: Leitungswasser hat, je nach Temperatur, mit etwa 150 - 300 µS/cm (Mikro-Siemens pro Zentimeter) eine schlechte Leitfähigkeit. Ganz anders sieht das aus, wenn Badesalze ins Wasser kommen.
Dem TÜV Hessen in Kassel, vertreten durch unsere Kasseler VDE-Mitglieder Markus Tripp und Markus Berneburg, sprechen wir mit diesem Bericht unseren herzlichen Dank für diesen Abend und die dafür geleistete Vorarbeit aus und wünschen ihnen und ihren Kollegen, dass durch elektrischen Strom verursachte tödliche Unfälle möglichst nicht zu ihrem Arbeitspensum gehören.
Wolfgang Dünkel
Öffentlichkeitsarbeit
(last update 27.03.2015)